Es geschah am 15. November 1315

Sie kamen am Dreikönigstag im Jahr 1314, und sie waren wütend. Sie, das sind die Schwyzer Landleute. An diesem Tag sollten sie den Marchenstreit, den schwelenden Konflikt um Weiderechte mit dem Kloster Einsiedeln, eskalieren lassen.

Mit Rammböcken und Beilen stürmten die Schwyzer die Klosterkirche, plünderten und verwüsteten alles, was nicht niet- und nagelfest war. Es war nicht der erste Gewaltexzess der Schwyzer. Sie hatten schon zuvor klösterliche Viehhöfe geplündert, Heu und Vieh geklaut, unerlaubt gerodet und Wiesen abgeweidet und sogar einen Klosterpächter aus Finstersee geraubt, um Lösegeld zu erpressen. Allerdings nicht ohne Grund: Den Schwyzern war schon mehrfach Vieh gepfändet worden und man hatte einige ihrer Alphütten abgebrannt. Der gewaltsame Konflikt um die Nutzung des Weidelands in der Schwyzer Landschaft hatte damals schon eine über 200 Jahre lange Geschichte.

Um 1300 spitzte sich die Lage zu. Die Grosspächter des Klosters, das die Habsburger als Schutzherren hatte, intensivierten ihre Viehwirtschaft und stellten von Klein- auf Grossvieh um. Kühe, Rinder und Pferde brachten dem Kloster mehr Ertrag als Schafe und Ziegen, die die Viehwirtschaft bis dahin geprägt hatten. Doch Grossvieh braucht auch mehr Futter und Platz. Das provozierte den Zorn der Schwyzer Schafzüchter und Ziegenhirten. Überdies waren die Schwyzer verbittert wegen des Kirchenbanns, der wegen der Fehde über sie verhängt worden war.

Genaues weiss man zwar nicht, aber es ist gut möglich, dass der Marchenstreit auch die Ursache für die Schlacht am Morgarten war, die am 15. November 1315 stattfand. So will es eine von mehreren Hypothesen. Als Schutzherren von Einsiedeln, so die Annahme, konnten die Habsburger den Frevel am Kloster nicht dulden und sandten den 25 Jahre alten Herzog Leopold (1290-1326), den Bruder von König Friedrich dem Schönen, mit einem Gefolge nach Schwyz.

Vielleicht war es aber auch anders. In jener Zeit war es unerlässlich, Machtansprüche durch Prunk und persönliche Präsenz zu markieren. Es ist deshalb denkbar, dass sich der habsburgische Aufritt gar nicht gegen die Schwyzer richtete, sondern gegen den Grafen Werner von Homburg. Als Sohn der Gräfin Elisabeth von Rapperswil erhob Werner nämlich seinerseits den Anspruch, rechtmässiger Schutzherr des Klosters Einsiedeln zu sein. Schutzherr eines reichen Klosters zu sein, war ein einträgliches Geschäft.

Eine dritte These stellt die Morgartenschlacht in den Kontext des erbitterten Thronstreits zwischen dem Habsburger Friedrich dem Schönen und seinem Rivalen Ludwig dem Bayern. Die Schwyzer hatten sich in diesem Machtkampf auf die Seite des Bayern geschlagen, denn der Wittelsbacher hatte der Waldstätte mehr Freiheiten zugesichert als der Habsburger.

Wie auch immer es war – dass Leopold mit seinem Gefolge am 15. November 1315 von der habsburgischen Stadt Zug kommend durchs Ägerital Richtung Sattel zog, ist unbestritten. Was dann bei der Schornen am Südende des Ägerisees genau geschah, ist Legende.

Und diese Legende hat alles, was es für eine gute Geschichte braucht: ein hehres Motiv, einen Bösewicht, einen wackeren Landammann, seine tapfere Ehefrau, loyale Mitstreiter, einen edlen Ritter aus dem Feindeslager, der die Seiten wechselt, einen weisen Hofnarren, der seinen eigenen Herrn vorführt und ein Happy End, das der Gerechtigkeit Genüge tut. Morgarten ist mangels harter Fakten mehr literarisches als historisches Ereignis; es ist eine Parabel über Gut und Böse, Freiheit und Heldenmut, Unterdrückung und Widerstand, Zusammenhalt, Stolz und Selbstbehauptung. Und als solche hat sie das historische Ereignis um mehr als 700 Jahre überlebt und ist bis heute von zentraler Bedeutung für die Geschichte und das Selbstverständnis der Schweizer.

Bei all den historischen Unsicherheiten ist der Schauplatz des Geschehens bekannt. Allerdings war das Gelände vor 700 Jahren unwegsamer als heute. Der Seespiegel war höher. Die Uferzone war sumpfig, überall gab es grössere und kleinere Tümpel. Der Weg war schmal, so dass sich Leopolds Tross vermutlich in einer langen Kolonne bewegte. Bei der Schornen, wo heute die Schlachtkapelle steht, führte der Weg damals wahrscheinlich in einer Linkskurve hinauf in Richtung der Flur Schafstetten kurz vor der Ortschaft Sattel. Für die Schwyzer war das ein idealer Ort für einen Hinterhalt.

Mit Baumstämmen versperrten sie den Weg, mit rollenden Steinen machten sie die Pferde scheu. Ein Rückzug war unter diesen Bedingungen unmöglich. Es ist denkbar, dass ein Teil des habsburgischen Gefolges in den Tümpeln unterging, wie es in späteren Chroniken dargestellt wird. Ein zweiter Zugriff erfolgte etwas weiter nördlich beim natürlichen Engpass Tschuppelen. Dort kamen im Jahr 2015 bei einer wissenschaftlich begleiteten Suche Dolche, Pfeilspitzen und ein kleiner Münzschatz zutage, die aus der Zeit um 1315 stammen könnten; ein direkter Zusammenhang dieser Objekte mit der legendären Schlacht ist jedoch nicht nachgewiesen.

Einen Monat nach der Schlacht, am 9. Dezember 1315, schloss Schwyz mit Uri und Unterwalden in Brunnen ein Bündnis, den Bundes- oder Morgartenbrief. Die Schlacht am Morgarten wird im Bündnis aber nicht erwähnt. 1318 endete der Kleinkrieg. Habsburg gewährte Schwyz, Uri und Unterwalden einen Waffenstillstand, der mehrfach verlängert wurde. Auch hier wird Morgarten nicht erwähnt. Der Marchenstreit wurde 1350 beigelegt. Die Schlacht am Morgarten hatte also keinen weiteren unmittelbaren Einfluss auf die Geschicke der Schweiz. Man hätte sie vergessen können.

Doch das Gegenteil war der Fall, als Geschichtsschreiber ab dem 15. Jahrhundert damit begannen, die Geschehnisse am Morgarten dichterisch auszuformen. Allen voran war es der Glarner Staatsmann und Forscher Aegidius Tschudi (1505-1572), der den Morgartenstoff zu einem Mythos formte. Dass diese starke Geschichte seither weiterlebt und bis heute immer wieder neu fasziniert, spricht für die dramaturgische Meisterschaft dieses Universalgelehrten. Daran wird auch die nüchterne und oft säuerlich wirkende Skepsis moderner Historiker nichts ändern.

Und was ist eigentlich aus Leopold, dem Verlierer von Morgarten, geworden? Er lebte noch gute zehn Jahre und starb 36-jährig 1326 in Strassburg – nicht etwa den Heldentod, sondern wahrscheinlich an einem Herzleiden. Vergessen ging er in seiner Familie nicht. Am 28. Februar 1838 wurde er auf Geheiss von Kaiser Franz Josef I. höchstselbst in die Liste der „berühmtesten, zur immerwährenden Nacheiferung würdiger Kriegsfürsten und Feldherren Österreichs“ aufgenommen – Morgarten hin oder her. Aber wollen wir wirklich, dass ihm einer nacheifert?

Der Staat als Beute

Wer Subventionen sät, wird keine Dankbarkeit, sondern wachsende Ansprüche ernten. Der vermeintlich starke Wohlfahrtsstaat ist ein ewig Getriebener, der durch immer mehr einklagbare Rechte ausblutet. Deshalb darf er nicht weiter ausgebaut werden.

Der Sozialstaat ist im Prinzip eine gute Idee. In einer Demokratie drückt er den Willen der Mehrheit einer Gesellschaft aus, die Bedürftigen nicht einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Darauf darf man stolz sein.

Doch wie alles Menschliche ist auch der Sozialstaat alles andere als perfekt . Er leidet insbesondere am Wohlstand. Das ist auf den ersten Blick paradox. Denn man könnte annehmen, dass Wohlstand und Wachstum die Bedürftigkeit reduzieren, vor allem dann, wenn auf dem Arbeitsmarkt Fachkräftemangel herrscht und die Gesellschaft so viel Geld wie nie zuvor in die Bildung investiert. Doch die jüngere Vergangenheit lehrt uns das Gegenteil. In der Schweiz haben sich die Ausgaben für die soziale Wohlfahrt seit 1990 real verfünffacht.

Das ist nur mit der Eigendynamik des Umverteilungsstaats zu erklären. Je mehr die Steuern und Abgaben «sprudeln», desto üppiger gedeihen die Ideen, wen der Staat auch noch beglücken könnte. Sei es der Vaterschaftsurlaub, sei es die Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose, sei es die schier grenzenlose Förderung der ausserhäuslichen Kindererziehung, die Aufstockung der Altersrente oder seien es die Phantasien über einen Menstruationsurlaub – der Sozialstaat kümmert sich schon lange nicht mehr nur um die Armen und Kranken. Er ist mittlerweile so monströs geworden, dass es für weite Teile der Bevölkerung bis tief ins akademische Milieu hinein normal geworden ist, Sozialleistungen zu beziehen.

Im modernen Sozial- und Umverteilungsstaat gehe es mittlerweile zu wie in einem Selbstbedienungsladen, heisst es zuweilen von jenen, die mit Sorge auf diese Entwicklung schauen. Doch dieses Bild ist falsch. Denn anders als der Staat muss ein Selbstbedienungsladen rentieren. Deshalb gibt es beim Ausgang eine Kasse, und wer für seinen Warenkorb nicht zahlt, bekommt Ärger. Im Sozialstaat hingegen steht die Kasse ganz woanders. Hier zahlen "die anderen" die Rechnung, und wer diese anderen sind, kann einem egal sein.

So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Stimmbevölkerung die 13. AHV-Rente gegönnt hat. Warum sollte man sich zurückhalten, wenn man etwas geschenkt kriegt? Über die Finanzierung spricht man nicht; einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul. Jahrzehntelang wurde die Bevölkerung von selbsternannten Sozialpolitikern darauf konditioniert, den Staat und seine Kassen als Beute zu betrachten. Das hinterlässt Spuren.

Es verhält sich mit Sozialleistungen genauso wie mit allen anderen staatlichen Fördergeldern: Wer Subventionen sät, wird nicht Dankbarkeit, sondern neue Ansprüche ernten. Jede Subvention ist eine Hypothek für die, die nach uns kommen. Erst wenn die politische Führung stark und vor allem willens genug ist, um das zu begreifen und zu verinnerlichen, darf man im Umverteilungsstaat auf Besserung hoffen. Und das kann dauern, solange die Steuern – dank Wachstum und Steuererhöhungen – «sprudeln».

Von Siena nach Bern

Wer schon einmal in Siena war, kennt ihn vielleicht: den Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti in den Räumen des Palazzo Pubblico über Wesen und Wirkung der guten und der schlechten Regierung. Der faszinierende spätgotische Bilderzyklus entstand in den politisch turbulenten Zeiten zwischen 1337 und 1339 und hatte vor allem ein Ziel: Er sollte die Mächtigen, die in diesen Räumen tagten und Entscheide fällten, mit der positiven Seite zu guter Regierungsführung inspirieren und ihnen mit der negativen Seite die Folgen politischen Versagens vor Augen halten.

Die Fresken waren nicht etwa von einer Moralinstanz wie der Kirche in Auftrag gegeben worden, sondern von den Regierenden – der sogenannten Regierung der Neun – selber. Offenbar waren damals die Herren von Siena selbstkritisch genug, um zu wissen, dass die Versuchungen der Macht auch an ihnen nicht spurlos vorbeigehen und somit schlechte Regierungsentscheide folgen könnten. So komplex und farbenfroh der in der Morgenröte der toskanischen Renaissance entstandene Bilderzyklus auch ist – seine Botschaft ist einfach: Von guter Regierung profitieren alle. Bei schlechter Regierung gehen alle zugrunde.

Fast 700 Jahre alt sind die Sieneser Fresken über die Wirkung der guten und der schlechten Regierung, aber ihre Aussage ist immer noch brandaktuell. Wer nach dem jüngsten Krawalltag nach Bern blickt, wähnt sich auf der dunklen Seite von Lorenzettis Freskenzyklus, also dort, wo die Folgen der schlechten Regierung allegorisch dargestellt werden: Die Strassen sind leer und verwüstet, Häuser sind zerstört, Fassaden bröckeln, Ladengeschäfte gibt es keine mehr, nur der Waffenschmid arbeitet fleissig. Justizia liegt gefesselt am Boden und wird von düsteren Gesellen geplagt, die Zwietracht, Grausamkeit, Betrug, Zorn, Habsucht, Prahlerei und Tyrannei symbolisieren. Sie gelten als die führenden Feinde der guten Regierung. Wüssten wir es nicht besser, man könnte meinen, Lorenzetti habe «die Schande von Bern» verarbeitet.

Fast wäre man versucht, all jene nach Siena zu schicken, die sich nun zu Fürsprechern des gewalttätigen Mobs erheben und dessen zerstörerische Gewalt relativieren. Dort könnten sie die Botschaft von Lorenzettis Fresken intensiv studieren. Aber vielleicht ist es besser, wenn sie zuhause bleiben. Die Sorge um dieses wunderbare Kunstwerk ist einfach zu gross.

Quod non fecerunt barbari… .

Der FDP fehlt: Demut

Die heutige FDP verwaltet, statt zu gestalten. Will sie wieder Erfolg haben, sollte sie aufhören, die Signale ihrer schrumpfenden Wählerschaft zu ignorieren.

Die FDP Schweiz war einst eine «Gründerin»; eine politische Organisation mit enormer unternehmerischer und politischer Kraft, und sie hatte, wie sich das für Gründer gehört, auch eine Idee. Sie hatte eine Vorstellung von einem modernen, liberalen und föderalistischen Staat, in dem Freiheit, Demokratie und Eigenverantwortung sowie das Miliz- und Subsidiaritätsprinzip das staatspolitische Programm bestimmen sollten.

Ein Land als quasi selbstverwaltete Genossenschaft also. Was man ohne Staat regeln konnte, wurde ohne Staat geregelt. Unermüdlich setzten sich die führenden Köpfe dieser Zeit für dieses liberale Modell ein. Der Unternehmer war nicht nur Fabrikant, sondern auch Patron, Offizier, Ständerat, Wohnungsbauer, Kultur- und Bildungsförderer, Vereinsmitglied. Mit viel Fleiss und Engagement schufen diese Leute das Fundament für unseren heutigen Wohlstand. Viele von ihnen – allerdings nicht alle – waren freisinnig.

Heute ist die FDP keine Wohlstandserschafferin mehr, sondern eine Wohlstandsverwalterin. Sie ist nicht die einzige Partei, auf die das zutrifft. Aber bei der FDP ist dieser Wandel besonders schmerzhaft. Die einstige «Gründerin» ist heute eine Getriebene. Statt eigene Ideen zu entwickeln und selbstbewusst zu vertreten, arrangiert sie sich mal mit rechts, mal mit links und vergeudet so ihre Zeit mit «unfreisinnigen» Themen wie Vaterschaftsurlaub oder Kita-Subventionen. Die freisinnige Antwort auf diese beiden Themen wäre übrigens: Das ist Sache der Sozialpartner, nicht des Staates, schon gar nicht des Bundes.

Die FDP ignoriert die Signale ihrer schrumpfenden Wählerschaft seit Jahrzehnten mit erstaunlicher Nonchalance. Das könnte man als Hochmut auslegen. Und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Was die FDP jetzt braucht, wenn sie überleben will, ist Demut, um aus der Talfahrt ehrliche Lehren zu ziehen – und Mut, um frische Ideen im Sinne des liberalen Erbes zu entwickeln.

Zum Niedergang freisinnigen Denkens haben neben der FDP auch Wirtschaftsverbände beigetragen, die sich vom politischen Tagesgeschäft verabschiedet und vom Volk entfremdet haben und nur noch ihre Eigeninteressen bewirtschaften. Wir und insbesondere der Freisinn brauchen ihn wieder: den Typus des sympathischen, volkstümlichen Wirtschaftsführers von ehedem, der sich neben dem Geschäft auch redlich um Gemeinwohl und Gemeinsinn kümmert.

Claudia Wirz ist freie Journalistin und Buchautorin.

Dieser Text erschien zuerst im Schweizer Monat im Rahmen der «FDP-Debatte». schweizermonat.ch

Gleichstellungsbüros adieu!

Die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau ist erreicht. Die Gleichstellungsbeauftragten müssen trotzdem nicht um ihre Arbeitsplätze bangen. Denn nach der rechtlichen steht jetzt die «tatsächliche» Gleichstellung auf dem Programm und das gibt Arbeitsplatzgarantie bis zu Sankt Nimmerlein.

All die staatlichen Gleichstellungsbeauftragten arbeiten in ihren Büros seit vielen Jahren fleissig an der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Aber was, wenn die Gleichberechtigung vollendet ist? Werden sie dann arbeitslos? Die Frage ist nicht aus der Luft gegriffen. Denn es gibt seit 2021 einen offiziellen Bericht, der beweist, dass Frauen und Männer in der Schweiz juristisch gleichbehandelt werden.

Oder anders gesagt: Ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen von Männern und Frauen sind ausgeräumt. Und wo sie doch noch vorkommen, gehen sie keineswegs nur zu Lasten der angeblich stets diskriminierten Frauen, im Gegenteil. Man denke etwa an die Militärdienstpflicht mitsamt der Wehrpflichtersatzabgabe.

Kurzum: Männer und Frauen sind von wenigen Ausnahmen abgesehen in der Schweiz gleichgestellt. Von einer systematischen Benachteiligung der Frauen kann schon gar keine Rede sein.

Das offenbart sich nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Lebenswirklichkeit. Frauen machen heute zum Beispiel häufiger die Matura als Männer. Und über fehlende weibliche Vorbilder – früher ein gerne bemühter Topos der Gleichstellungslobby – kann heute niemand mehr klagen. Vielmehr werden wir heute überall mit glorifizierter «Frauenpower» torpediert.

Fernsehkrimis sind ohne «starke» Kommissarinnen nicht mehr denkbar, Nachrichtensendungen achten peinlich genau auf die Einhaltung von Frauenquoten bei den Auskunftspersonen, an Radio und Fernsehen wird «gegendert», was das Zeug hält, und in der Welt des Business sind Geschichten über «Powerfrauen» mittlerweile zu einem eigenen Genre geworden.

Die Mission Gleichstellung ist also erfüllt, nein, übererfüllt. Wäre man tatsächlich liberal, wäre es nun höchste Zeit, die erwachsene und gleichgestellte Frau endlich von der staatlichen Übermutter zu entwöhnen. Lasst uns die Gleichstellungsbüros schliessen!

Doch der Staat lässt seine stattliche Schar von Gleichstellungsbeauftragten nicht im Stich. Jetzt wird die «tatsächliche» Gleichstellung gefördert. Gemeint ist damit nichts anderes als die Hebung des Frauenanteils in den Teppichetagen. Die Gleisbaustelle, auf der nachts bei Wind und Wetter und bei eisiger Kälte gearbeitet wird, steht nicht im Fokus dieser Strategie, obwohl dort die Männer stärker dominieren als in der klimatisierten Chefetage.

Heute geht es bei der Gleichstellungspolitik nur noch um zwei Dinge: um die Erschleichung von Privilegien für einige wenige Frauen, die später als gefeierte «Powerfrauen» auf dem Chefsessel sitzen, und um Arbeitsbeschaffung für die Gleichstellungsbüros. Deshalb darf aus der Sicht der Gleichstellungslobby Gleichstellung nie erreicht sein, trotz der jahrzehntelangen steuerfinanzierten Knochenarbeit der Gleichstellungsbeauftragten.

Diese Agrarpolitik schadet!

Die Schweizer Landwirtschaft ist vielfältig, aber leider am falschen Ort. Denn die Vielfalt wuchert vor allem bei den Subventionen, nicht auf dem Feld. In der Landwirtschaftspolitik geht es im Grunde immer nur um die gleichen zwei Dinge: um Geld und Privilegien für wenige auf Kosten aller anderen.

Die Agrarlobby ist mächtig in der Schweiz. Sie umfasst beileibe nicht nur die Bauernorganisationen, sondern auch die vor- und nachgelagerten Industrien und Dienstleistungen. Merke: Agrarsubventionen sind Industriesubventionen.

Seit Jahrzehnten gelingt es dieser politisch bestens vernetzten Gruppe, ihre agrarpolitischen Interessen auf Kosten der Bevölkerung und der Umwelt durchzusetzen. Es sind vor allem vermeintlich bürgerliche und selbsternannte "liberale" Kräfte sowie die Kantone, die im Parlament die knallharte Klientelpolitik zulasten der Konsumenten, der Steuerzahler, der Wirtschaft insgesamt, vor allem aber auf Kosten der Natur vorantreiben.

Obwohl uns diese Agrarpolitik in vielfacher Hinsicht massiv schadet, herrscht breites Schweigen, auch in den Medien. Wären da nicht die liberale Denkfabrik Avenir-Suisse und das Institut für Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern – es würde fast niemand den agrarpolitischen Gottesdienst im Lande stören. Dieser Blog wird sich fortan dem Reigen der wenigen Kritiker anschliessen und regelmässig zu diesem Thema «posten».

Avenir-Suisse hat ausgerechnet, was uns unsere Agrarpolitik kostet. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Schweizer Agrarpolitik betragen demnach (Stand: 2020) 20.7 Mrd. Fr. pro Jahr. Im Vergleich zur Vorstudie von 2018 sind die Kosten nochmal um 4% gestiegen. Seither dürfte sich wenig und schon gar nichts zum Besseren geändert haben, da sich auch die Agrarpolitik nicht geändert hat. Für die Agrarlobby läuft der Karren also – man ist versucht zu sagen – wie geschmiert.

Wer trägt diese Kosten genau? Es sind wir alle. Avenir-Suisse teilt sie folgendermassen auf:

• 23% Prozent tragen die Steuerzahler;

• 18% bezahlen die Konsumenten;

• 37% machen die Umweltkosten aus;

• 22% tragen die Unternehmen in Form verpasster Opportunitäten des Exports.

Der letzte Kostenposten hat mit dem «Zollhammer» der USA traurige neue Aktualität erhalten. Im Jahr 2006 hatte die Schweiz gute Aussichten auf ein Freihandelsabkommen mit den USA. Aber Schutz und Privilegien der Agrarbranche waren der Politik letztlich wichtiger. Was für ein Fehler! Und niemand redet darüber.

Verantwortlich für das Kostenwachstum von 700 Mio. Fr. pro Jahr zwischen 2018 und 2020 sind übrigens die gestiegenen Umweltkosten: Pestizideinsatz, gestiegener Phosphorüberschuss und Biodiversitätsverluste summieren sich allein auf zusätzliche 300 Mio. Fr. jährlich. Vereinzelt wird mit den Agrarsubventionen umweltschädliches Verhalten sogar aktiv gefördert (z.B. reduzierter Mehrwertsteuersatz auf Pflanzenschutzmitteln).

Was braucht es noch, damit die Agrarwende endlich kommt?

News: Mein neues Buch

Es gibt News: Heute, am 17.9.2025 erscheint mein neues Buch im Rahmen einer Vernissage im Landesmuseum: "Risiko, Solidarität und Mathematik - Die Schweizer Versicherungswirtschaft und ihre Geschichte". Wer sich für die Geschichte der Schweizer Versicherungswirtschaft interessiert und wissen will, was unser Wohlstand mit der Versicherungsidee zu tun hat, kommt an diesem Band kaum vorbei.

Die Zusammenarbeit mit dem hochkarätigen Autorenteam war eine Freude. Mein herzlicher Dank geht an Reiner Eichenberger, Katharina Fontana, Beat Gygi, Urs Hafner, Melanie Häner-Müller, Alexandra Janssen, Beat Kappeler, Fabian Kuhn, Daniel Künstle, Martin Lengwiler, Michele Salvi, Markus Somm, Tobias Straumann und Thomas Zaugg.

Mein Dank geht ebenso an Clemens Fässler und Susanna Ruf vom Verein für wirtschaftshistorische Studien (Verlag) für ihre professionelle Unterstützung und an den Schweizerischen Versicherungsverband SVV, ohne den dieses Projekt nicht zustande gekommen wäre. ISBN: 978-3-909059-89-8

Was ist Bildung?

Was ist ein gebildeter Mensch? Ist es einer, der beim Pisa-Test gut abgeschnitten hat? Einer, der an der Universität akademische Titel erarbeitet hat und auf höchstem Niveau gendern kann? Ist es einer, der stets effizient lernt und sich nicht von unnützem Wissen ablenken lässt? Ist es einer, der das «lebenslange Lernen» praktiziert und viel Geld für Weiterbildungsprogramme ausgibt?

Oder ist es der Praktiker, der die Berufs- und Lebenserfahrung zum Lehrmeister hat, der sich weitgehend jenseits von Diplomen selber weiterbildet und dessen Triebfedern Neugier und Wissensdrang sind? Schliesslich ist das Leben an sich ein einziger Lernprozess, auch wenn es dafür kein anerkanntes Zertifikat gibt. Und was unterscheidet den gebildeten Menschen eigentlich vom hochqualifizierten? Kann es heute, da sich Wissen laufend vermehrt, überhaupt noch Gebildete geben, oder kennt die Wissensgesellschaft nur Hochqualifizierte?

Eines ist klar: So viele Hochqualifizierte wie heute gab es noch nie. In der Schweiz haben 50 Prozent der unter 35-Jährigen eine Tertiärausbildung und gelten damit als hochqualifiziert – die meisten von ihnen sind Hochschulabsolventen. Bei den über 65-Jährigen trifft Letzteres nur auf 12,5 Prozent zu (Stand: 2017).

Doch damit ist die Eingangsfrage nicht hinreichend geklärt; zu schillernd ist der Bildungsbegriff. Mal steht er für praktisches Können, mal für Weltklugheit, mal für Belesenheit in den Klassikern, mal für freie Forschung, mal für digitale oder andere fachspezifische Fähigkeiten. Es ist noch nicht so lange her, da war das Latein in der abendländischen Kultur so etwas wie eine Visitenkarte des Gebildetseins. Doch Latein ist tot. Englisch lebt dafür umso mehr und so gibt heute das kaufmännische Prinzip der Employability bei der Bildung den Ton an. Das heisst: Bildung ist, was der Arbeitsmarkt braucht. Der Rest ist Ballast und kann abgeworfen oder ausgelagert werden.

Durch diese Lesart ist Bildung zu einer Art Industrieware geworden, und die Hochschulabsolventen gehören kraft ihres tertiären Ausbildungsweges automatisch zu den Hochqualifizierten – unabhängig von Fach, Können, Leistung, Erfahrung und Wissen.

Das Prädikat hochqualifiziert ist bei genauer Betrachtung jedoch rein technischer Natur. Weil der Mensch in Mustern denkt, erleichtern ihm solche Taxierungen die Dinge zu sortieren und Statistiken zu erstellen. Über die Bildung einer Person im weiteren Sinne sagt der Begriff aber nicht viel aus. Denn Bildung – zumindest jene im Humboldt’schen Sinn – ist weit mehr als abgeprüftes, genormtes und zweckdienliches Wissen.

Bildung im Sinne der Humboldts hat nicht den geschmeidigen Mitarbeiter zum Ziel, sondern das mündige, selberdenkende und selbstbestimmte Individuum, das in der Lage ist, die Dinge und auch sich selber kritisch zu hinterfragen und eine eigenständige Meinung zu bilden. In einer Zeit, da Hochschulen zunehmend zu ideologischen Hochburgen werden und die künstliche Intelligenz ihr menschliches Pendant herausfordert, wäre es nicht das Dümmste, sich wieder verstärkt daran zu orientieren.