Sommerlicher Ausflug ins Unterengadin (bei Schuls).
Archiv: August 2025
Des Kapitalismus schlechte Presse
Manchmal könnte man fast glauben, der Kapitalismus sei für alles Übel dieser Welt verantwortlich: für die Ausbeutung der Arbeiter, den Krieg, die Klimakrise, die Wohnungsnot, die soziale Ungerechtigkeit, die schwindende Kaufkraft, die Unterdrückung der Frau, die mangelnde Integration von Migranten oder das Artensterben. Es scheint, als versage das kapitalistische System am laufenden Band und als sei das Prinzip von der Selbstregulierung der Märkte nicht mehr als ein frommer Wunsch, um nicht zu sagen: eine Erfindung der kapitalistischen Propaganda.
Kurzum: Der Kapitalismus geniesst vielerorts kein gutes Image. Das gilt insbesondere für das urbane, linksgrün-akademische Milieu, dessen Angehörige ihren Lohn nicht selten vom Staat beziehen und die die «Konzerne» als Problem betrachten, obwohl nicht zuletzt diese mit ihren Steuern den Staat finanzieren. Auch viele Journalisten sehen den Kapitalismus kritisch. An vielen Schulen wiederum wird der Kapitalismus vorwiegend anhand der sozialen Frage «durchgenommen», während die Bedeutung unternehmerischer Initiative und Innovation für Fortschritt und Wohlstand weniger Beachtung findet.
Obwohl der Kapitalismus insbesondere in den wohlfahrtstaatlichen Gesellschaften den allermeisten ein gutes Leben ermöglicht, kann er viele Herzen nicht erreichen. Es gilt auch in der Wohlstandsoase immer noch als chic, den Kapitalismus überwinden zu wollen.
Dabei gibt es ungezählte Beispiele dafür, dass die Behinderung des Spiels von Angebot und Nachfrage negative Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt hat. Die Landwirtschaft möge zur Anschauung dienen. Exzessive Subventionen und rigorose Marktabschottung sorgen nicht nur für künstlich überhöhte Preise und eine Bevormundung der Konsumenten durch eine staatlich regulierte Produktepalette. Sie tragen auch wesentlich zur Verschmutzung der Natur bei, weil das viele Geld im System intensive Produktionsmethoden fördert und den dringend nötigen Strukturwandel behindert.
Analoges lässt sich zur vermeintlichen Wohnungsnot sagen. Nicht ein Zuwenig an Staat ist das Problem, sondern ein Zuviel davon. Wer die staatliche Bürokratie ausbaut und laufend neue Vorschriften produziert, wer private Investoren als Klassenfeind betrachtet, muss sich nicht wundern, wenn diese von dannen ziehen.
Diese Mechanismen sind bekannt. Gleichwohl hält sich die Kapitalismuskritik hartnäckig. In ihr manifestiert sich die tiefe Skepsis einer saturierten und selbstgefälligen Wohlstandsgesellschaft gegenüber dem Prinzip von Wettbewerb, Leistung und Eigenverantwortung. Lieber träumt man von sozialer Gerechtigkeit – was auch immer das ist –, ruft das Zeitalter des Postwachstums aus – was leichtfällt, wenn der eigene Bauch gefüllt und der eigene Wohlstand gesichert ist –, fordert die Viertagewoche, den Menstruationsurlaub oder ein Grundeinkommen für alle. Dumm ist nur, dass die Erfüllung all dieser frommen Wünsche Geld braucht. Woher dieses Geld kommen soll, wenn dereinst der Kapitalismus überwunden ist, ist eine Frage, auf deren Beantwortung man gespannt sein darf.
Das sexistische Klavier
Manchmal erscheint der Sexismus in unerwarteter Gestalt, zum Beispiel in Form eines Klaviers. Das ist bemerkenswert, weil sich in den letzten zwei-, dreihundert Jahren Hunderttausende von mehr oder weniger begabten Amateurinnen freiwillig an diesem Instrument versucht haben. Etliche von ihnen wurden Profis, brachten es zu Weltruhm und überstrahlten mit ihrer Brillanz manchen Mann. Andere blieben der Nachwelt erhalten, weil sie ihre berühmten Lehrer inspirierten, etwa Therese von Trattner, der Mozart zwei Klavierwerke widmete – die Klaviersonate Nr. 14 in c-moll (KV 457) und die Fantasie in c-moll (KV 475).
Es ist unwahrscheinlich, dass sich die so gewürdigte Wiener Verlegersgattin und Konzertpianistin, die überdies noch zehn Kinder zur Welt brachte, vom Pianoforte oder von Mozarts Musik diskriminiert fühlte. Es brauchte die Wokeness des 21. Jahrhunderts und ein Buch der Feministin Caroline Criado Perez, um der Öffentlichkeit klarzumachen, dass das Klavier ein frauenfeindliches Gerät sei. Durch die Tastengrösse, welche für Männerhände konzipiert sei, benachteilige das Klavier die Frauen «strukturell» und setze gar deren Gesundheit aufs Spiel, findet sie.
Untermauert wird diese These mit Studien. Eine davon soll belegen, dass exakt 87 Prozent der Pianistinnen solchermassen benachteiligt würden. Dadurch würde ihnen die Möglichkeit genommen, die gleiche pianistische Anerkennung zu erreichen wie die männliche Konkurrenz. Kurzum: Der Geschlechterkrieg tobt auch auf der Klaviatur. Das nennt man Gendermainstreaming.
Das Klavier steht in diesem Diskurs stellvertretend für zahllose Alltagsgegenstände wie Smartphones, Sitzgurte, Bohrmaschinen oder Hygienemasken, denen ebenfalls vorgeworfen wird, von Männern für Männer gebaut zu sein. Sind die Frauen also Opfer eines gigantischen misogynen Industriekartells?
Wer so etwas vom Klavier behauptet, ist womöglich Opfer einer Verblendung. Die Tastengrössen eines modernen Pianos seien weniger dem Diktat irgendwelcher Männerhände geschuldet als vielmehr den Notwendigkeiten des komplexen technischen Innenlebens, sagt Rainer Matz, der die Pianowerkstatt bei Musik Hug leitet. Kommt dazu, dass die Natur unabhängig vom Geschlecht grosse und kleine Hände hervorbringt und dass auch kleine Hände, ja selbst kleine Kinderhände dank pianistischen Techniken am Klavier immer wieder Bravouröses leisten.
Klaviertasten sind im Zuge der technischen Entwicklung grösser geworden. Es ist den feministischen Klavierkritikerinnen jedoch nicht verboten, sich mit eigenen Innovationen konstruktiv, statt moralinsauer anklagend in diesen Prozess einzubringen und selber ein «gerechtes» Piano zu bauen. Vorarbeiten – allerdings durch einen Mann – soll es bereits geben. Auch den Handys, Masken, Sitzgurten oder Bohrmaschinen können sie sich annehmen. Dann braucht es nur noch einen Markt. Nach Auskunft von Branchenkennern ist die Nachfrage nach gegenderten Klavieren bisher allerdings – gelinde gesagt – überschaubar. Ideologien liefern zwar einfache Weltbilder, aber eben nicht immer gute Businessideen.